Bürokratieentlastungsgesetz IV – Können Bürokraten echten Bürokratieabbau schaffen?
Das Bürokratieentlastungsgesetz IV soll die Wirtschaft um 2,3 Milliarden Euro Erfüllungsaufwand entlasten. Der Bürokratiekostenindex würde damit auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2012 sinken.1 Die Bundesregierung sieht dies als Erfolg. Angesichts der bisher eher bescheidenen Erfolge beim Bürokratieabbau ist diese Sichtweise vielleicht sogar verständlich.

Entwicklung des Bürokratiekostenindex2
Dennoch: Für spürbare Entlastungen, die nicht nur Geld sparen, sondern auch Investitionen vereinfachen, braucht es mehr. Einige Ideen hierzu haben die Wirtschaft und ihre Interessenverbände bereits geäußert.
Um den tatsächlichen Aufwand, der der Wirtschaft zur Erfüllung aller Rechtsnormen entsteht, überhaupt messen zu können, müsste die “One in, One out”-Regelung zunächst auch auf Gesetze Anwendung finden, die aufgrund von EU-Vorgaben erlassen werden. Denn für die Wirtschaft ist es irrelevant, wer den Erfüllungsaufwand auslöst.3 Dass EU-Richtlinien einen großen Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung haben können, zeigt ein Blick in den Berichtszeitraum 2018 bis 2020. Während die Bundesregierung in dieser Zeit 542 Millionen Euro Erfüllungsaufwand auf eigene Initiative verursacht hat, sind 594 Millionen Euro aufgrund der Umsetzung von EU-Richtlinien entstanden.4
Zudem wird kritisiert, dass die bestehende Regelung zwar den Aufbau weiterer Bürokratie verhindern soll, Bürokratieabbau hingegen nicht garantiert. Deshalb fordert der Bundesverband der deutschen Industrie e. V. die Erweiterung der Regelung zu einer “One in, Two Out”-Regel.5 Diese könnte besagen, dass die Bundesregierung die Wirtschaft jährlich von doppelt so viel Erfüllungsaufwand entlasten muss, wie sie diese zusätzlich belastet.
Beide Vorschläge würden sicherlich zu mehr Bürokratieabbau führen. Es muss jedoch auch beachtet werden, dass Gesetze die Grundlage für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat sind. Sie sind nicht nur Gefahr, sondern auch Begründung für den überdurchschnittlichen Lebensstandard der deutschen Bevölkerung. Bürokratieabbau ist daher nur dort möglich, wo die Einschränkungen eines Gesetzes seinen Nutzen überwiegen. Ob generalisierende Regelungen wie die “One in, One out”-Regelung daher überhaupt nachhaltig helfen, ist fraglich.
Doch aus Regierungskreisen heißt es: Ohne diese Regelung würde es überhaupt keinen Bürokratieabbau geben.6 Dort liegt das eigentliche Problem. Mit Regelungen und Gesetzen zu versuchen, Regelungen und Gesetze abzubauen, ist eine fragwürdige Vorgehensweise. Stattdessen könnte man zum Beispiel auch entschlossen Digitalisierung und E-Government vorantreiben, auch dies würde eine große Bürokratieentlastung darstellen.7
Dass es jedoch notwendig ist, Gesetze zum Bürokratieabbau zu erlassen, zeigt, dass immer noch zu viele Bürokraten in leitenden Funktionen in der öffentlichen Verwaltung tätig sind. Dieses Problem kann man nicht unmittelbar durch Gesetze lösen. Der benötigte Kulturwandel, weg von Regelungsbesessenheit, hin zu Pragmatismus, benötigt Zeit. Zeit, die eigentlich bereits jetzt verstrichen ist.
Ein geeigneter Weg, einen solchen Kulturwandel zu erreichen, ist die Personalauswahl und Personalentwicklung. Das bedeutet, dass vor allem die Ausbildung eigener Nachwuchskräfte verändert werden muss. Denn hier werden neben dem fachlichen Wissen vor allem Methodenkompetenzen ausgebildet. Diese prägen maßgeblich, wie die späteren Verwaltungsbeschäftigten an Problemstellungen herantreten. Aktuell haben die überwiegenden Ausbildungs- und Studienabschlüsse eine rechtswissenschaftliche Prägung. Diese Fähigkeiten sind für viele Einsatzgebiete nach der Ausbildung auch erforderlich. Dennoch wird hierdurch vor allem gelehrt: Rechtmäßigkeit und Genauigkeit steht über Lösungsorientierung. Dabei ist es gerade die Lösungsorientierung und der nötige Pragmatismus, welcher der öffentlichen Verwaltung fehlt. Hier bietet es sich an, betriebswirtschaftlichen Kompetenzen einen höheren Stellenwert in der Ausbildung einzuräumen.
Bis eine solche Entwicklung die Verwaltung jedoch verändert, würde viel Zeit vergehen. Eine schnellere Lösung könnte vor allem durch die Personalauswahl erreicht werden. Gerade Führungskräfte können verhältnismäßig schnell Veränderungen bewirken. Trotzdem werden nahezu alle Ausschreibungen von Führungsstellen im öffentlichen Dienst – zu mindestens auch – an Juristen adressiert. Auch hier könnte es von Vorteil sein, Führungsstellen mit Personen mit Managementkenntnissen statt mit ausschließlich umfänglichen Rechtskenntnissen zu besetzen.
Auch wenn dieser Weg Zeit benötigt, würde er unserer Meinung nach am Ende vor allem die deutlich nachhaltigere Wahl sein, als weiterhin zu versuchen, Gesetze mit Gesetzen zu bekämpfen.
1 https://www.bmj.de/DE/themen/bessere_rechtsetzung/buerokratieabbau/buerokratieabbau_node.html (letzter Abruf am 15.09.2023)
2 https://www.bmj.de/DE/themen/bessere_rechtsetzung/buerokratieabbau/buerokratieabbau_node.html (letzter Abruf am 15.09.2023)
3 https://arbeitgeber.de/themen/arbeitsrecht-und-tarifpolitik/buerokratieabbau/ (letzter Abruf am 15.09.2023)
4 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/die-buerokratiebremse-one-in-one-out-regel-1964512 (letzter Abruf am 15.09.2023).
5 https://bdi.eu/artikel/news/konjunkturimpuls-buerokratieabbau (letzter Abruf am 15.09.2023).
6 https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buerokratie-bremse-100.html (letzter Abruf am 15.09.2023).
7 https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-08/buerokratieabbau-digitalisierung-marco-buschmann-nancy-faeser (letzter Abruf am 15.09.2023).